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Frankfurt am Main und Paris, 18 Juli 2018

 

Offener Brief an Kommissionspräsidenten J.-C. Junker und die Kommissare für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit V. Andriukaitis, für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung P. Hugan, für Forschung, Wissenschaft und Innovation C. Moedas sowie für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit J. Katainen

 

 

Vorschläge für

 

- die Durchführung zur Übernahme einer kohärenten Interpretation der GVO Definition gemäß der Richtlinie EG Nr. 2001/18,

 

- die Benennung einer EU-Behörde, die den GVO-Status eines Organismus feststellt,

 

- die Aufnahme von Konsultationen mit Ländern, die landwirtschaftliche Produkte importieren und exportieren, um den Regulierungsstatus genom-editierter Pflanzen zu harmonisieren.

 

Sehr geehrter Herr Präsident Junker,

 

Sehr geehrte Kommissare,

 

Der vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Verhandlung anstehende Fall C-528/16 resultiert aus einer Initiative von französischen Nichtregierungsorganisationen, die den Regulierungsstatus von Pflanzen, die durch Mutagenesetechniken gezüchtet wurden, geklärt haben wollen. Die Anrufung des EuGHs hat alle Entscheidungen auf europäischer Ebene zur Klärung des gesetzlichen Status von Organismen, insbesondere Pflanzen, die mit Hilfe „neuer Züchtungstechniken“, den „genome editing“-Technologien entwickelt wurden, gestoppt. Am 25. Juli 2018 wird der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung zum Status von Pflanzen, die mit Hilfe bestimmter „genome editing“-Verfahren gewonnen wurden, treffen. Diese gerichtliche Entscheidung wird aber keine Antworten auf andere lange offene Fragen aus Forschung und Entwicklung der Pflanzenzüchtung in Europa geben, da diese dem EuGH nicht vorgelegt wurden.

 

2018 trafen Länder wie z.B. die Vereinigten Staaten und Brasilien Regulierungsentscheidungen und veröffentlichten Leitlinien für bestimmte Kategorien von Pflanzen, die mit Hilfe von „genome editing“-Verfahren erzeugt wurden. Ein hoch-Ölsäure-haltiges Öl aus Sojabohnen, wird als erstes Produkt einer genom-editierter Pflanze voraussichtlich in diesem Jahr von der Firma Calyxt Inc. in den USA auf dem Markt gebracht werden. Calyxt Inc. ist eine Tochterfirma des französischen Biotech-Unternehmens Cellectis SA, einem Unternehmen, das als Pionier in Anwendungen von „genome editing“-Verfahren gilt.

 

In diesem offenen Brief werden drei Maßnahmen vorgeschlagen, die es dem öffentlichen und privaten Forschungssektor in der Europäische Union ermöglichen, im Interesse von Verbrauchern, Züchtern, Landwirten, Wirtschaft und Umwelt, sich wieder an die Spitze der Innovationen in der 

 

Pflanzenzüchtung zu bringen. Dies ist besonders wichtig, da angenommen wird, dass in Kombination von „genome-editing“-Technologien und künstlicher Intelligenz die Innovationen in allen Bereichen der Naturwissenschaften vermehren und den Anwendungsländern ein signifikantes Wachstum und einen ökonomischen Vorteil erbringen wird. Die Europäische Union hat alle Möglichkeiten und Fähigkeiten sich hier aktiv einzubringen, und sie sollte sich nicht durch kollektive Untätigkeit diesen Möglichkeiten entziehen.

 

Erste Maßnahme:

 

Sofern der EuGH in seiner Entscheidung keine weitere Auslegung der GVO-Definition gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie EG Nr. 2001/18 vorschlägt, wird eine kohärente und prägnante Auslegung wie folgt vorgeschlagen1:

 

„Genetisch veränderter Organismus (GVO): ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist.“ Im Sinne dieser Definition gilt folgendes: a) Zu der genetischen Veränderung kommt es mindestens durch den Einsatz der in Anhang I A Teil 1 aufgeführten Verfahren“ und hier „neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen.“

 

Es erscheint möglich und würde auch im Einklang mit den Befugnissen der Kommission stehen, diese Auslegung zu übernehmen, ohne dass eine Revision der Richtlinie beantragt werden müsste.

 

Bei einer Annahme unserer vorgeschlagenen Auslegung könnte die Kommission den Status genom- editierter Pflanzen klären, die keine neue Kombination von genetischem Material enthalten, die nicht natürlich vorkommen können, oder weil sie unter die Ausnahme von Teil 1B der Richtlinie fallen:

 

(i) Null-Segreganten – Nachkommen gentechnisch veränderter Pflanzen, aus denen das GVO-Merkmal durch Kreuzung eliminiert wurde,

 

(ii) Organismen mit Deletionen jeder Größe,

 

(iii) Organismen, die einer Substitution eines einzelnen Nukleotids (d. h. einer Mutation) oder einer Insertion von weniger als 20 Basenpaaren unterzogen wurden,

 

(iv) Cisgene Organismen (einschließlich eines nativen Gens oder eines Gens aus einem sexuell kreuzbaren Organismus).

 

Ähnlichen wie durch das USDA am 28. März 2018 in einer Pressemitteilung bekannt gegeben wurde, könnte die EU-Kommission die oben dargelegten Ausführungen in erklärenden Mitteilungen begleiten und allen interessierten Kreisen, einschließlich Forschern, Landwirten, Verbrauchern und der Wirtschaft erläutern.

 

______________________

 

1 Diese prägnante Auslegung würde auch mit der Cartagena-Protokolldefinition des Living Modified Organism ("LMO") übereinstimmen: "jeder lebende Organismus, der eine neuartige Kombination von genetischem Material durch den Einsatz moderner Biotechnologie besitzt". Moderne Biotechnologie bedeutet die Anwendung von "a). In-vitro-Nukleinsäure-Techniken, einschließlich rekombinanter Desoxyribonukleinsäure (DNA) und direkte Injektion von Nukleinsäure in Zellen oder Organellen, oder b) Fusion von Zellen außerhalb der taxonomischen Familie, die natürliche physiologische reproduktive oder Rekombination Barrieren zu überwinden sind keine Techniken, die in der traditionellen Zucht und Selektion verwendet werden.

 

2 Unsere Vorschläge stimmen mit denen von EASAC (2015) überein: "Die EU-Aufsichtsbehörden bestätigen, dass die Produkte aus neuen Züchtungstechniken, die keine fremde DNA enthalten, nicht in den Geltungsbereich der GVO-Gesetzgebung fallen. Ebenso sind sie konsistent zu denen der Expertengruppen „ New Techniques“ (Podevin et al 2012) oder ACRE 2013. 3

 

Zweite Maßnahme:

 

Wie auch in anderen Teilen der Welt sollte eruiert werden, welche Behörde, welcher Ausschuss in der Europäischen Union in der Lage wäre, den Status von genom-editierten Pflanzen im Einzelfall zu überprüfen. Die Kriterien für eine solche Überprüfung sollten festgelegt werden.

 

Derzeit richten die Antragsteller für einen Feldversuch gemäß der Richtlinie EG 2001/18 ihre Anträge / Fragen an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem ein Feldversuch stattfinden soll. Da jedoch die zu treffende Entscheidung (Ausschluss, Ausnahmeregelung oder Aufnahme in die "GVO" -Definition) Auswirkungen auf ganz Europa hat, schlagen wir vor, eine europäische Behörde zu benennen, die Anträge zur Statusfeststellung annimmt, wobei zu berücksichtigen ist, dass Entscheidungen zeitnah getroffen müssen und Ressourcen benötigt werden (z. B. innerhalb von 90 Tagen). Die Informations- bzw. Datenanforderungen für Statusfeststellungen sollten verhältnismäßig und angemessen sein und denen entsprechen, wie sie in anderen Ländern verlangt werden. Öffentlichen und kleinen privaten Züchtungsunternehmen sollten keine unnötigen Bürden auferlegt werden, damit auch sie sich in diesem Bereich engagieren können.

 

Dritte Maßnahme:

 

Aufnahme von Konsultationen mit Ländern, die landwirtschaftliche Produkte importieren und exportieren, um den Regulierungsstatus genomeditierter Pflanzen zu harmonisieren.

 

Zusammenfassend sind die Unterzeichner des offenen Briefes überzeugt, dass die Europäische Union aus folgenden Gründen nicht auf die Möglichkeiten aus den „genome-editing“-Technologien verzichten sollte:

 

- Eröffnung zahlreicher Innovationen für europäische Forscher und Pflanzenzüchter,

 

- Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Handelsbeschränkungen mit anderen Länder, die sich bereits im Prozess der Einführung dieser Technologien befinden,

 

- Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeit der europäischen Landwirtschaft,

 

- Leistung eines wesentlichen Beitrags der europäischen Landwirtschaft zu den im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eingegangenen Verpflichtungen und

 

- Hebelwirkung für die Entwicklung der Bioökonomie, einer Priorität der EU.

 

Die Europäische Union wird nur dann einen Spitzenplatz in der "neuen Ära" der Biotechnologie für Landwirtschaft und Agrarökologie erlangen, wenn es der öffentlichen und privaten Forschung in Europa ermöglicht wird, zu wichtigen Akteuren im Bereich des „genome editing“ zu werden.

 

Die Unterzeichner des offenen Briefes sind bereit, Fragen zu beantworten oder der Kommission zur Verfügung zu stehen, um die oben genannten Vorschläge weiter zu erläutern.

 

 

Mit freundlichen Grüßen in Namen der „European initiative for genome editing in plants“

 

 

Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany

 

Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V (WGG)

 

Alain Deshayes

Association Française des Biotechnologies Végétales (AFBV)

 

 

European initiative for genome editing in plants

 

First signatory organizations and associations

 

Académie des technologies, France: Bruno Jarry, Président

 

Académie nationale de Pharmacie, France: Agnès Artiges, Secrétaire Perpétuel

 

ACTA (Instituts techniques agricoles de France), France: Philippe Lecouvey, Directeur Général

 

AFBV (Association française des biotechnologies végétales), France: Alain Deshayes, Président

 

agriDées –Think Tank, France: Damien Bonduelle, Président

 

AGPB (Association Générale des Producteurs de Blé et autres céréales), France: Philippe Pinta, Chair

 

AGROBIOTECHROM, Bucharest, Romania: Dr. Nicolae Hristea

 

ASAJA (Asaja Asociacion Agragria Jovenes Agricultores), Spain: José Maria Castilla Baro

 

Biotechnology Committee Polish Academy of Sciences, Institute of Bioorganic Chemistry, Poznan, Poland: Prof. Tomasz Twardowski

 

CEPM (Confédération Européenne des Producteurs de Maïs), France: Céline Duroc, Délégué Général

 

Confagricoltura (Confederazione Generale dell’Agricoltura Italiana), Italy: dr. Massimiliano Giansanti, President

 

Deutschen Botanischen Gesellschaft (German Society for Plant Sciences), Germany, Prof. Dr. Karl-Josef Dietz, Präsident

 

FGL (Forschergruppe Gesunde Lebensmittel), Kirchberg-Thening, Austria: Rudolf Mach

 

FNSEA (Fédération Nationale des Syndicats d’Exploitants Agricoles), France: Christiane Lambert, Chair

 

FOP (Fédération des Oléo-Protéagineux), France, Arnaud Rousseau, Chair

 

Forum Grüne Vernunft e.V., Germany, Dr. Horst Rehberger Minister a.D., Chair

 

German Society of Plant Biotechnology, Germany: Prof. Dr. G Krczal, President

 

The GM-group at the Royal Swedish Academy of Sciences, Sweden: Roland von Bothmer

 

Innoplanta e.V, Gatersleben, Germany: Dr Uwe Schrader

 

IPBO (International Plant Biotech Outreach), Gand (Zwijnaarde), Belgium: Dr. Marc Van Montagu, Chair

 

Jeunes Agriculteurs, France, Jeremy Decerle, Chair

 

John Innes Centre, Norwich, United Kingdom: Prof Dale Saunders, Director

 

Linnean Centre for Plant Science - Uppsala, Sweden: Dr. Eva Sundberg

 

PlantLink, network platform for plant science formed in 2011 as an alliance between Lund University (LU) and the Swedish University of Agricultural Sciences in Alnarp (SLU Alnarp), Sweden: Tina D’Hertefeldt, Associate Director

 

PRRI (Public Research & Regulation Initiative), Gand, Belgium: Dr. Marc Van Montagu, Chair

 

 

RLP Agroscience GmbH, AlPlanta - lnstitute for Plant Research, Neustadt, Germany: Prof. Dr. G Krczal, Managing Director

 

Rothamsted Research, Harpenden, Herts, United Kingdom: Professor Achim Dobermann, Director and Chief Executive

 

SPPS (Sandinavian Plant Physiology Society), Umea, Sweden: Stefan Jansson, President

 

Umeå Plant Science Centre, Umea, Sweden: Ove Nilsson, Director

 

VIB life sciences research institute, Gent, Belgium: Jo Bury, Director

 

WGG (Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik), Germany: Prof Dr. Klaus-Dieter Jany, Chair

 

First signatories from the scientific community

 

- Niklaus Ammann, Prof. emeritus, University of Bern, Switzerland

 

- Jean-Marc Boussard, Directeur de recherche honoraire de l’INRA, Académie d’Agriculture de France, Paris, France

 

- Jean-François Briat, Directeur de recherche honoraire du CNRS, Académie d’Agriculture de France, Paris, France

 

- Dr. Björn L.D. M. Brücker, Editor-in-Chief 4 open/EDP Sciences, Germany

 

- Alain Coleno, ancien Directeur scientifique des productions végétales, INRA, France

 

- Prof. Dr. Hannelore Daniel, Chair of Human Nutrition, Technical University Munich, Germany

 

- John Davison, ancien Directeur de recherche, INRA, France

 

- Roberto Defez, Italian National Research Council (IBBR), Italy

 

- Henri Delbard, Académie d'Agriculture de France, France

 

- Michel Delseny, Directeur de recherche émérite du CNRS, Académie des Sciences, France

 

- Bernard Dujon, membre de l’Académie des Sciences, Paris, France

 

- Christian Dumas, Professeur honoraire, membre de l’Académie des Sciences, Paris, France

 

- Dr. Dennis Eriksson, Department of Plant Breeding, Swedish University of Agricultural Sciences, Alnarp, Sweden; Executive Manager Plant Genetic Resources International Platform (PGRIP)

 

- Pr. Dr. Lutz Fisher, Institute of food Science and Biotechnology, Faculty of Natural Sciences, Hohenheim University, Germany

 

- Susanne Günther, Farmer, MA in Philosophy, Political Science and Linguistics, Germany

 

- Louis-Marie Houdebine, Directeur de recherche honoraire de l'INRA, membre de l'Académie d'Agriculture de France, France

 

- Michel Griffon, Académie d’Agriculture de France, France

 

- Dominique Job, Directeur de recherche émérite du CNRS, membre de l’Académie d’Agriculture de France, France

 

- Prof. Dr. Christian Jung, Plant Breeding Institute Christian-Albrechts-University of Kiel, Germany

 

- Prof. Beat Keller, Department of Plant and Microbial Biology, University of Zurich, Switzerland 

 

 

- Prof. Dr. Karl-Heinz Kogel, Interdisciplinary Research Center for Biosystems, Department of Phytopathology, Justus Liebig University, Giessen, Germany

 

- Prof. Dr. Margit Laimer, Plant Biotechnology Unit (PBU), Department Biotechnology, BOKU University, Vienna, Austria

 

- Professor C J Leaver CBE, FRS, FRSE, Emeritus Professor of Plant Science, University of Oxford, United Kingdom

 

- Anne Perrin, former chair of Association Française pour l’Information Scientifique (AFIS), France

 

- Dr Pere Puigdomènech, CRAG (Centre for Research on Agronomical Genomics), Barcelona, Spain

 

- Anneli Ritala, Principal Scientist, Project Manager, VTT Technical Research Centre of Finland Ltd., Solutions for Natural Resources and Environment, Finland

 

- Prof. Dr. Jörg Romeis, Agroscope, Zurich, Switzerland

 

- Dr. Jeremy Sweet, PhD MSc NDA, JT Environmental Consultants, Cambridge, United Kingdom

 

- Giovanni Tagliabue, Independent researcher in agricultural biotechnologies and political science, Carugo (Como) Italy, Winner of Innoplanta Science Prize in 2017

 

- Prof. Teemu Teeri, University of Helsinki, Finland

 

- Dr. Detlef Weigel, Director, Max Planck Institute for Developmental Biology, Germany

 

- Prof. Li-Hua Zhu, Department of plant breeding, Swedish University of agricultural Sciences, Alnarp, Sweden