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Brieftext - Appell an Landwirtschaftsminister Özdemir
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Juni 2022:

Forschende appellieren an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir

 

 

 

Genome Editing in der Pflanzenzüchtung: Auf die Eigenschaften kommt es an! 

 

Der VBIO und seine Fachgesellschaften aus dem Bereich der Pflanzenwissenschaften - WGG, GPZ, GfPB, DBG und DECHEMA BioTechNet - haben sich vor dem Hintergrund des europäischen Green Deal und der Diskussion um eine Neuregulierung des EU-Gentechnikrechtes im Juni 2022 an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir gewandt. Mit Verweis auf die erheblichen Potentiale der neuen Züchtungsmethoden und den aktuellen Stand der Wissenschaft sind sie für eine differenzierte juristische Betrachtungsweise eingetreten und haben ihre Dialogbereitschaft erklärt.

 

Hier der Wortlaut des Briefes:

Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir,

als Pflanzenwissenschaftler/-innen möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf die neuen genomischen Techniken (NGT) und deren potenziellen Beitrag zur langfristigen Produktivitäts- und damit auch der Ernährungssicherung in Zeiten tiefgreifender Veränderungen auf unserem Planeten richten.

Wir tun dies insbesondere auch vor dem Hintergrund des Green Deal, mit dem die EU-Kommission dem Klimawandel begegnen und die Landwirtschaft nachhaltiger und umweltfreundlicher gestalten möchte. Zum Erreichen dieser Ziele benötigen wir innerhalb kürzester Zeit Nutzpflanzen, die resistent gegenüber Klimawandel-bedingten Umweltänderungen sind, effizient Nährstoffe aufnehmen und hohe Erträge erbringen. Zusätzlich ist es unsere besondere Verantwortung, diejenigen Länder zu unterstützen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben.

Die globale Ernährungssicherheit ist inzwischen in einem Maße gefährdet, das weit über die bisherige Ungleichverteilung und unzulängliche lokale Verfügbarkeit hinaus geht. Die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der globalen Ernährung dürfen allerdings die bestehende Biodiversitäts- und Klimakrise nicht weiter verschärfen.

Der Beitrag neuer Züchtungstechniken
In dieser komplexen Lage können neue genomische Züchtungstechniken wie z.B. CRISPR/Cas oder TALEN einen wesentlichen Beitrag leisten. Allerdings unterliegen die auf diese Weise entstandene Pflanzen den Regelungen des Gentechnikrechts, das auf dem Wissen der 1990er Jahre des letzten Jahrtausends basiert. De facto bedeutet es ein Anbau- und Anwendungsverbot, was sich auch negativ auf die wissenschaftliche Forschung auswirkt. Hier ist anzumerken, dass in Deutschland anhand von Kennzahlen nachweisbar Spitzenforschung auf dem Gebiet der molekularen Pflanzenwissenschaften durchgeführt wird.

Vor einem Jahr hat die EU-Kommission eine Studie über den Status der neuen genomischen Techniken[1] veröffentlicht, die Basis für weitere Beratungen über eine Neuregulierung des EU-Gentechnikrechtes sein soll. Dazu hat sie auch einen konkreten Fahrplan vorgelegt. Bis Mitte 2023 soll ein Gesetzesvorschlag vorliegen. Ein solcher Schritt ist aus unserer Sicht ausdrücklich zu begrüßen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die derzeit gültige GVO-Gesetzgebung, die 2001 verabschiedete Richtlinie 2001/18/EC, dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik nicht gerecht wird und revidiert werden sollte.

Mit neuen genomischen Techniken können kleine Mutationen oder größere Genomänderungen erzeugt werden. Die im EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 behandelten Anwendungen sind darauf ausgerichtet, nur eine minimale Änderung im Genom des Zielorganismus zu erzeugen. Diese Änderung als solche kann analytisch meist nachgewiesen werden. Der zugrundeliegende Vorgang, der zu der Genomänderung geführt hat, jedoch nicht[2][3] Damit ist eine derartige Pflanze nicht unterscheidbar von einer, die durch konventionelle Mutagenese oder natürlicherweise entstanden ist.

Eine pauschale rechtliche Einstufung von genomeditierten Produkten als GVO ist daher aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Stattdessen braucht die Anwendung dieser Techniken Richtlinien, die wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen und differenzierte Betrachtungsweisen der Genome Editing-Verfahren mit einbeziehen.

Auf die Eigenschaften der Pflanze kommt es an
Pflanzen, die einfache, gezielt mit Genscheren erzeugte Veränderungen enthalten und in die keine fremden Gene eingefügt wurden, sind von Pflanzen aus konventioneller Züchtung nicht zu unterscheiden. Es gibt aus unserer Sicht keine wissenschaftlichen Gründe, sie unterschiedlich zu regulieren. Neue Pflanzen müssen sorgfältig auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt und ihre Unbedenklichkeit für den menschlichen oder tierischen Verzehr geprüft werden. Dabei sollten sie aber nach ihren Eigenschaften, und nicht nach der Art ihrer Erzeugung beurteilt werden.

Für eine sachliche Debatte
Wir sind davon überzeugt, dass nicht die starre Einhaltung eines bestimmten Bewertungs- und Regulierungssystems das Ziel sein soll, sondern die gewünschte Nachhaltigkeitsbilanz. Und zwar in allen Dimensionen: ausreichende und gesunde Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung einhergehend mit umwelt- und klimafreundlicher Produktion.

Allerdings beobachten wir eine gewisse Einseitigkeit in der Debatte, weil Fakten nicht gleichberechtigt anerkannt werden. Die gleichen Akteure, die beim Thema Klimawandel vehement auf Wissenschaft und deren Argumente pochen, versetzen die Öffentlichkeit beim Thema Genome Editing mit emotionalen Botschaften in Angst, damit sie eben dieser Wissenschaft misstraut. Wer es ernst meint mit den Nachhaltigkeitszielen muss erkennen, dass wir eine unvoreingenommene Betrachtung aller Lösungsansätze benötigen, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Lösungsansätze
Die derzeitige GVO-Gesetzgebung der EU unterscheidet sich von der vieler anderer Länder. Letztere klassifizieren Pflanzen vielfach nicht als GVOs, wenn sie lediglich Veränderungen aufweisen, die sich von natürlichen Mutanten oder konventionellen Züchtungen nicht unterscheiden lassen. Diese Regelung entspricht dem aktuellen Stand der Wissenschaft und vereinfacht die Nutzung neuer genomischer Techniken für die Züchtung verbesserter Nutzpflanzensorten.

Bereits eine geringfügige Änderung des existierenden Regelwerks würde es erlauben, die Europäische GVO-Gesetzgebung an die Regeln anderer Länder anzupassen. Wissenschaftler/-innen, Pflanzenzüchter/-innen und Tierzüchter/-innen der EU-Mitgliedsstaaten könnten die neuen genomischen Techniken dann als Werkzeug nutzen, um Beiträge zur Bewältigung der akuten Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung in Umwelt, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zu leisten. Zudem wäre ein solches Verfahren auch ein wertvoller Bestandteil der Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität, da dadurch die Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Flächen begrenzt oder sogar vermieden werden kann. Auch möglichen Handelshemmnissen könnte damit vorgebeugt werden.

Wir haben in einem ersten Papier bereits 2016 darauf hingewiesen, dass eine differenzierte Betrachtungsweise vonnöten ist und 2020[4] erneut konkrete Vorschläge zu einer entsprechenden Umsetzung gemacht, die auch bei der Revision der geltenden Gesetzeslage Berücksichtigung finden sollten.

Wir halten es für enorm wichtig, dass die GVO-Gesetzgebung mit dem Stand von Wissenschaft und Technik Schritt hält, damit Menschen, Tiere und Umwelt davon profitieren können. Die aktuelle Diskussion muss uns Pflanzenwissenschaftler/-innen direkt einbinden: Sie betrifft unsere Arbeit und folglich auch unsere Expertise. Diese möchten wir Ihnen gerne zur Verfügung stellen, indem wir uns als fachlich kompetente Gesprächs- und Informationspartner/-innen anbieten. Wir freuen uns, wenn Sie unser Angebot annehmen!

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Prof. Dr. Karl-Josef Dietz, Präsident Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO e. V.)

Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Vorsitzender Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik (WGG e. V.)

Prof. Dr. Maria von Korff, Gesellschaft für Pflanzenzüchtung (GPZ e. V.)

Prof. Dr. Gabi Krczal, Gesellschaft für Pflanzenbiotechnologie (GfPB e. V.)

Prof. Dr. Andreas Liese, DECHEMA-BioTechNet

Prof. Dr. Andreas Weber, Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG e. V.)

 

Dies ist eine gemeinsame Initiative vom Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e. V.) und seinen Fachgesellschaften Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V. (WGG), Gesellschaft für Pflanzenzüchtung e.V. (GPZ), Gesellschaft für Pflanzenbiotechnologie e.V. (GfPB), DECHEMA-BioTechNet und Deutsche Botanische Gesellschaft e.V. (DBG)